Schlußbetrachtung

Der Leiter der Hauptabteilung I "Menscheneinsatz" legte Ende 1940 die Ideologie des RKFDV-Programms in der Einleitung zu einem Kompendium nieder, in dem für den "inneren Dienstgebrauch" der RKFDV-Dienststellen die wichtigsten Anordnungen und Richtlinien zusammengestellt wurden. Diese "grundlegenden Gesichtspunkte" hatten daher das Gewicht von offiziellen Richtlinien des RKFDV (1).

1. Die "außerhalb der Interessensphäre des Großdeutschen Reiches" lebenden Deutschen seien "nach Maßgabe der Dringlichkeit und Notwendigkeit" umzusiedeln. Sie würden dadurch "von ihrer Rolle als Kulturdünger fremder Staaten" befreit.

2. Dieser Ruf des "Führers" bedeute "eine völlige Revolutionierung der früheren deutschen Volkstumspolitik"; denn die bisherige "vielfach romantisch gefärbte Schwärmerei, die sich an der Verstreutheit der Deutschen ... begeisterte", sei nach dem Grundsatz umgeformt worden: "Hereinnahme des wertvollen deutschen Blutes zur Stärkung des Reiches selbst."

3. Das "Gefühl der blutlichen Verbundenheit zum deutschen Gesamtvolk", das die Volksdeutschen bewiesen hätten, sichere ihnen "zumindest ein moralisches Anrecht auf eine gute Aufnahme im Reich . . . und auf die Bereitstellung einer gesunden Existenzgrundlage".

4. Trotz des Verlustes der alten Heimat sei das Reich gegenüber dem Volksdeutschen "in viel größerem Maße ... der gebende Teil".

5. Dies verpflichte die "heimgekehrten Deutschen, sich in die Disziplin, die Zucht und die Ordnung des Großdeutschen Reiches organisch einzufügen". Dazu stellte Dr. FÄHNDRICH zwei konkrete Forderungen auf:
"Mit der Hereinnahme einer Volksgruppe in das Reich hört die frühere Volksgruppenorganisation auf zu bestehen, denn über der Volksgruppe steht das Reich." und "Die Begriffe des Baltendeutschen, des Wolhynien- und Bessarabiendeutschen usw. müssen vielmehr in kürzester Frist ausgetilgt sein."

6. Bei der Ansiedlung könnten zwar "gewisse stammesmäßige Gesichtspunkte" berücksichtigt werden, entscheidend aber sei ein gesundes "Mischungsverhältnis" zwischen Volksdeutschen und nach dem Kriege anzusiedelnden Reichsdeutschen, das im allgemeinen 40% zu 60% betragen solle.

7. Bei der "Ansetzung" der Volksdeutschen sei zu beachten, daß die Ansiedlung "in erster Linie" dort erfolgen solle, "wo die Festigung des deutschen Volkstums" erforderlich sei. Das sei im allgemeinen in den "volkspolitisch gefährdeten Grenzgebieten" notwendig, wo durch die "Zuführung eines neuen deutschen Blutstromes" eine vorläufige deutsche Minderheit gegenüber einer "breiten, fremdstämmigen Volksmasse" gestärkt werden müsse. Dafür sei "das beste Blut . . . gerade gut genug."

8. Die Ansiedlung sei nur der erste Schritt zur "eigentlichen Seßhaftmachung", die Hauptaufgabe liege "in der politischen Erziehung des einzelnen Umsiedlers zum nationalsozialistisch denkenden Menschen".

Die - für die RKFDV-Ideologie - phraseologisch typische Umschreibung, die Deutschen "außerhalb der Interessensphäre des Großdeutschen Reiches . . . von ihrer Rolle als Kulturdünger fremder Staaten" zu erlösen, konnte nicht über das Faktum hinwegtäuschen, daß HITLER die Erhaltung der deutschen Volksgruppen nicht um ihrer selbst willen wollte, sondern daß es ihm darum ging, vor allem die rassische Basis seines Imperiums durch die "Hereinnahme wertvollen deutschen Blutes" zu stärken. Deutlich wurde diese Absicht auch durch die Abwertung des vom VDA und von den deutschen Volksgruppen verfolgten Prinzips "Staatstreu - volkstreu", das geringschätzig als "romantisch gefärbte Schwärmerei" abgetan wurde.

Die politische Linie, die Volksdeutschen als beliebig verfügbares Objekt nationalsozialistischer Volkstumspolitik zu behandeln, fand ihre Fortsetzung in der "Ansetzung"; diese sollte vorrangig in den "volkspolitisch gefährdeten Grenzgebieten" erfolgen und nicht etwa dort, wo es für die Volksdeutschen am günstigsten gewesen wäre. Nationalsozialistische Logik erforderte dann auch, daß zur Erzeugung "besten Blutes" ein gesundes "Mischungsverhältnis" zwischen Volks- und Reichsdeutschen bei der Ansiedlung eingehalten werden sollte. Hier schlug in fast abstruser Form der rassebiologische Züchtungsgedanke durch, den gerade HIMMLER mit besonderer Pedanterie und Penetranz verfolgte.

Demgegenüber bedeutete es wenig, wenn der Experte des "Menscheneinsatzes" konzedierte, daß "gewisse stammesmäßige Gesichtspunkte" bei der Planung der Ansiedlung miteinbezogen werden könnten und daß den Volksdeutschen pathetisch ein "moralisches Anrecht" auf eine gute psychologische und wirtschaftliche Behandlung im "Großdeutschen Reich" bestätigt wurde.

Entscheidend für die Vernichtung der Existenz der Volksgruppen war die kategorische Forderung nach "organischer Einfügung", d. h. nach Auflösung der bisherigen Volksgruppenorganisationen; als äußerste Konsequenz dieses unhistorischen, technokratischen Machtdenkens folgerte der RKFDV-Ideologe die Ausmerzung der "Begriffe des Baltendeutschen, des Wolhyniendeutschen ... in kürzester Frist". Hier tönte nur noch der hochintelligente, zynische Funktionär des "Menscheneinsatzes", dessen mechanistische Logik den manipulatorischen Charakter der nationalsozialistischen Umsiedlungspolitik in ihrer ganzen Banalität und Unmenschlichkeit brutal enthüllte.

Gegen drei der RKFDV-Grundsätze richtete sich bereits im Februar 1941 die heftige Kritik Dr. KRÖGERS, des nach der Umsiedlung ranghöchsten baltendeutschen Nationalsozialisten. "Die Bedenken, die an einige grundsätzliche Bemerkungen aus Ihrem Vorwort geknüpft werden müssen, sind ... so schwer . .., daß man es begrüßen muß, wenn diese Richtlinien auf einen inneren Dienstgebrauch beschränkt bleiben." (2)

Der Vorwurf der Ignoranz ist nicht zu überhören. Entscheidend für die Einschätzung der eigenen Position in HITLERS "Großdeutschem Reich" scheint Punkt zwei der Krögerschen Argumentation zu sein. "Eine ,Auslöschung' des Begriffes ,Baltendeutsche' würde mir nicht wie eine Bereicherung, sondern wie eine Verarmung des
Großdeutschen Bewußtseins vorkommen, weil sie einer Austilgung eines jahrhundertealten und gewiß nicht unrühmlichen Stückes deutscher Geschichte gleichkäme" (3).

Hier lehnte sich ein "Volksdeutscher" SS-Standartenführer gegen die Geschichtsfeindlichkeit der offiziellen RKFDV-Ideologie auf, der bisher den Befehlen des reichsdeutschen Nationalsozialismus bedingungslos gehorcht hatte. Daß KRÖGER im Volksgruppendenken alter Provenienz "befangen" war, zeigte er, indem er FÄHNDRICH "solche rein etatistischen Formulierungen" ankreidete. Das - noch vorhandene - Traditionsbewußtsein des Baltendeutschen schwingt mit in dem Gedanken: "Ich halte es auch für zweifelhaft, ob etwa die Forderung nach der Austilgung des Begriffes der Bayern, Württemberger oder Niedersachsen, selbst wenn sie wünschenswert wäre, auf Gegenliebe stoßen würde" (4). Dieser Hinweis hatte angesichts der partikularistischen Bestrebungen einiger Gauleiter sicherlich eine delikate ironische Färbung. Gerade dafür aber war im Denken des RKFDV-Planers kein Platz.

FÄHNDRICH antwortete KRÖGER dann auch in nur drei Sätzen. Der Kernsatz lautete: "Ich muß Ihnen jedoch leider mitteilen, daß ich Ihre Auffassungen in verschiedenen sehr wesentlichen Punkten nicht teilen kann, zumal sie auch verschiedentlich mit denen des Reichsführers-SS in Widerspruch stehen" (5). Der Autorität HIMMLERS gewiß, wies FÄHNDRICH die "überflüssigen" Gedanken des Balten kurz und bündig zurück.

Betrachten wir auf dem so skizzierten Hintergrund die Umsiedlung der Gottscheer als geschichtliches Ereignis, so lassen sich folgende Stationen, Phänomene und Wertungen aufzeigen.

Die Geschichte der Gottscheer zwischen den Weltkriegen wurde im wesentlichen bestimmt durch die Auseinandersetzung mit den Slowenen um die Bewahrung ihres deutschen Volkstums. In der zweiten Phase dieses Nationalitätenkampfes - von 1933 bis 1941 - gerieten die Gottscheer dabei zunehmend in den ideologischen und politischen Bannkreis des Nationalsozialismus. HANS VON RIMSCHA hat die Problematik dieses Prozesses, der im wesentlichen bei allen deutschen Volksgruppen zu beobachten war, zutreffend beschrieben:

"In ihrer nationalen Selbstbestimmung waren die deutschen Volksgruppen durch die nationalistische Politik der Heimatstaaten im wachsenden Maße bedroht. Sie haben diese Bedrohung erkannt und gegen sie angekämpft. In ihrer politischen Selbstbestimmung erwiesen sie sich durch das aus dem Dritten Reich mit wachsender Lautstärke vernehmbare Kommando bedroht. Die darin liegende Gefährdung ihrer Eigenständigkeit wie ihrer Existenz schlechthin haben sie zum großen Teil nicht erkannt." (6)

Mit der "Gleichschaltung", als deren Markstein die Absetzung der "alten" Führer und die Gründung der "Mannschaft" anzusehen sind, fand diese Entwicklung ihren vorläufigen Abschluß. Das ideologische Credo der nationalsozialistischen Führungsgruppe, das sich in dem Bewußtsein widerspiegelte, "Vorposten des Reiches" zu sein, ließ nämlich den politischen Grundsatz der "alten" Führung - Staatstreu - volkstreu - zu einer Farce verblassen, die vor allem aus taktischen Motiven aufrechterhalten
wurde; denn die neue Führung war prinzipiell bereit, "Weisungen" des Reiches entgegenzunehmen. Damit waren nun auch - vom Reiche aus gesehen - die Voraussetzungen für die "Rückwanderung" der Gottscheer geschaffen. Notwendig im Sinne der nationalsozialistischen Außenpolitik wurde diese 1941.

HITLERS Weisung einer "ethnischen Flurbereinigung", deren Realisierung nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens im Frühjahr 1941 einerseits durch die Abgrenzung der Interessensphären zwischen Deutschland und Italien und andererseits durch die Bildung des kroatischen Ustaschastaates bestimmt wurde, bildete die politische Basis für die Umsiedlung der Gottscheer. Diese mußten umsiedeln, weil ihr Siedlungsgebiet an Italien fiel und HITLER einen potentiellen volkstumspolitischen Konfliktherd mit dem Achsenpartner beseitigen wollte. Die Frage der neuen Heimat konnte schnell geklärt werden, nachdem die Einverleibung der Untersteiermark und die Vertreibung eines großen Teils der dortigen slowenischen Bevölkerung beschlossen worden war. Beim Aufbau der RKFDV-Dienststellen in Marburg kam es zum ersten Male zwischen regionalen Gau- und zentralistischen SS-Interessen zu einem Kompetenzkonflikt, der zugunsten der SS entschieden wurde. Die Gottscheer wurden nun in der Planung zu einem wichtigen Faktor der nationalsozialistischen Volkstumsideologie insofern, als sie an der Südgrenze der erweiterten Steiermark den "völkischen Schutzwall" bilden sollten, hinter dem das sogenannte "schwebende Volkstum" einzudeutschen war. Die enge Verquickung von Umsiedlung und Absiedlung, d. h. von Ansiedlung der Volksdeutschen und Vertreibung der bisher ansässigen slowenischen Bevölkerung trat dabei offen zutage.

Die Grundlinien der nationalsozialistischen Volkstums- und Umsiedlungspolitik in Slowenien wurden immer wieder durchkreuzt und sogar unterbrochen durch die Erfordernisse einer Kriegspolitik, die auf dem Balkan bereits 1941 mit den militärischen Gegebenheiten des einsetzenden Partisanenkampfes und dessen Auswirkungen auf Kroatien, Italien und auf die von HITLER annektierten Gebiete von Oberkrain und Untersteiermark zu rechnen hatte. Daher kam es, daß die Umsiedlung der Gottscheer durch langwierige Verhandlungen mit den Italienern, aber auch durch die zögernde Haltung des Gauleiters der Steiermark entscheidend hinausgeschoben wurde, der wegen des Partisanenkrieges allzu radikalen "Absiedlungen" ablehnend gegenüberstand. Diese Geschehnisse führten zu einem Machtkampf zwischen RKFDV-Stabshauptamt und dem Gauleiter.

Die Gottscheer Volksgruppenführung betrachtete die Umsiedlung als Befolgung eines "Führerbefehls", der in gehorsamer Pflichterfüllung zu akzeptieren war. Auf die Durchführung dieses Befehls versuchte sie jedoch planvoll einzuwirken. Vor Beginn der Option wiegte sie sich im Glauben, daß ihr eine Konsolidierung ihrer Macht gelungen sei. Die seit April 1941 schrittweise vorangetriebene straffere Erfassung der Bevölkerung, pausenlose Propaganda, wirtschaftliche Versprechungen, Isolierung der Gegner und auch Drohungen waren nicht ohne Eindruck auf die Gottscheer geblieben.

Trotzdem zeichneten sich die Differenzen innerhalb der Volksgruppe deshalb scharf ab, weil die Volksgruppenführung während der Umsiedlungsvorbereitungen ständig Angriffe gegen die wirklichen und vermeintlichen Anhänger der ehemaligen Volksgruppenführung richtete. Diese Verhaltensweise der jungen Gottscheer Nationalsozialisten und die Verschiebung der Umsiedlung um etwa drei Monate führten zu einer inneren Krise, die sich in der Bildung eine Opposition gegen die Volksgruppen
führung artikulierte. Nur das Eingreifen des Stabshauptamtes konnte die Option der Gottscheer in befriedigendem Maße garantieren.

Überblickt man das gesamte Handeln der jungen Führer, so ist zu konstatieren, daß ihm wohl vorwiegend idealistische Motive wie Opfer- und Einsatzbereitschaft zugrunde lagen. Es ist jedoch auch festzuhalten, daß gerade LAMPETER sich fragwürdiger Methoden - vermutlich infolge seiner nationalsozialistischen Überzeugung und eines dadurch geweckten Machtstrebens - bediente, die oft als moralisch bedenklich, manchmal sogar als verwerflich zu qualifizieren sind. Daher scheint es uns Geschichtsklitterung zu sein, wenn man bei der Beurteilung der jungen Gottscheer Nationalsozialisten ausschließlich "saubere Ziele" heraushebt (7), nicht aber die Mittel untersucht, die angewandt wurden.

In der Berichterstattung über die rassebiologische "Bestandsaufnahme" der Gottscheer standen einander gegenüber: die euphemistisch verbrämten Bilanzen der SS-Umsiedlungsstellen - der EWZ, des "Ahnenerbes", des Stabshauptamtes- und die völlig negative Beurteilung der Volksgruppe und ihrer Führung von Seiten der Mehrheit der Ansiedlungsstäbe in der Untersteiermark. Zu erklären ist dieses Phänomen vor allem mit den Ressentiments der Gaubehörden gegenüber den Gottscheern und mit der offensichtlichen Diskrepanz zwischen Planungen und Realitäten bei der Um- und Ansiedlung, die den Mannschaftsführer zu einem Protest bei HIMMLER veranlaßte. Dadurch geriet LAMPETER jedoch zwischen die Mühlsteine der in ihrem Prestige getroffenen SS- und Parteiinstanzen.

An dem Schicksal des Gottscheer Mannschaftsführers läßt sich der fast als tragisch zu bezeichnende Antagonismus aufzeigen, den LAMPETER mit sich auszutragen hatte, nämlich als Nationalsozialist gehorchen, aber als Volksdeutscher Führer die Lebensinteressen der Volksgruppe - selbst gegen die Dienststellen des Reiches - wahrnehmen zu müssen. In der konkreten Konfliktsituation entschied sich der Gottscheer Mannschaftsführer für die Volksgruppe, was vor allem seine Absetzung auslöste. Die Entlassung LAMPETERS manifestierte in krasser Weise, daß die radikale Forderung von SS und Partei nach bedingungsloser Einordnung in reichsdeutsche Befehlsverhältnisse gleichzeitig zur Aufgabe des Volksgruppenbewußtseins zwang. Die doktrinär vertretene These - rabulistisch formuliert als "organische Einfügung" - wurde den bisherigen historischen, politischen und psychologischen Lebensbedingungen der Volksgruppe besonders wegen der Umsiedlung nicht gerecht und führte zu schweren Belastungen der nationalsozialistischen Volkstumspolitik, so daß schließlich sogar innerhalb der SS Meinungsverschiedenheiten über die Einschätzung der Gottscheer aufbrachen. Über Folgen und Ursachen der falschen Behandlung resümierte im Juni 1942 äußerst kritisch Prof. HANS SCHWALM:

"Es ist erschütternd zu beobachten, welche Mißstimmung sich unter den Gottscheern breitgemacht hat... Als Ursachen für diesen katastrophalen Zustand sind anzusprechen: die schlechte Organisation bei der Ankunft der Gottscheer im Ranner Ansiedlungsgebiet ...; der wirklich trostlose Zustand der Häuser im Ansiedlungsgebiet; das Fehlen einer selbstverantwortlichen Tätigkeit. . .; das Mitansehenmüssen der zum Teil schon verbrecherischen Mißwirtschaft einzelner Funktionäre der DAG . . .; das Fehlen einer eigenen politischen Führung und straffen mannschaftlichen Lenkung nach der Absetzung der bisherigen Volksgruppenführung, ein Mangel, der nicht durch den
Aufbau einer entsprechenden Organisation des Steirischen Heimatbundes ersetzt wurde." (8)

Die Gottscheer als Objekt der nationalsozialistischen Umsiedlungspolitik - diese Problematik hatte primär zwei Aspekte: einerseits wurde die Volksgruppe von den Umsiedlungsdienststellen und auch von der eigenen Führung - als verlängertem Arm des RKFDV - für die Umsiedlung "präpariert"; andererseits mußte die Spitze der Volksgruppe selbst - besonders in der Endphase der Umsiedlung - zu der Erkenntnis kommen, daß auch sie nur als Mittel nationalsozialistischer Politik betrachtet und entsprechend behandelt wurde. Die Konsequenzen und das Ausmaß eines solchen "Verfügungstotalitarismus" werden schlagartig erhellt durch das Urteil, das der Agramer Gesandte KASCHE - offenbar in Übereinstimmung mit Gauleiter UIBERREITHER - Mitte Januar 1942 über die Gottscheer fällte; denn in völliger Verkehrung der offiziellen rassebiologischen und volkspolitischen Wertung stempelte KASCHE die deutschen Gottscheer gegenüber den für sie ausgesiedelten Slowenen als minderwertigeres "Menschenmaterial" ab. In dieser extrem negativen Einschätzung wird deutlich, daß im nationalsozialistischen Herrschaftssystem der Wert der Gottscheer gemessen wurde an dem Grad ihrer Verwendbarkeit und Verfügbarkeit in der Strategie und Taktik der jeweiligen nationalsozialistischen Machtträger. Da Gesandter KASCHE die deutsche Außenpolitik im Südosten und Gauleiter UIBERREITHER die "Rückvolkung der Windischen" in der Untersteiermark durch die Ansiedlung der Gottscheer gefährdet wähnten, spielten sie Klischees und Bagatellfälle zu einem umfassend negativen Urteil über die Volksgruppe hoch. Hier bricht also eine Kluft zwischen der Realität und der Ideologie nationalsozialistischer Volkstumspolitik auf.

Eindeutig ist die RKFDV-Politik nur in FÄHNDRICHS Grundsätzen: für ihn war die Verhaltensweise KASCHES und UIBERREITHERS bestimmt nicht RKFDV-konform; denn es handelte sich bei den Gottscheern nach der EWZ-Prüfung um "bestes deutsches Blut". FÄHNDRICH sah die Problematik der Volksgruppen im "Großdeutschen Reich" unter einem anderen Blickwinkel: Da sie historisch und organisatorisch keinen Platz und keinen Eigenwert (9) hatten im geschichtslosen Schema des nationalsozialistischen Herrschaftssystems, wurden sie erbarmungslos zerschlagen. Es war bezeichnend, daß sich der Untergang der Volksgruppen überwiegend im Rahmen und unter den Bedingungen des RKFDV-Systems vollzog, das sich "jenseits von Partei und Staat" erhob und in seinen totalitären Möglichkeiten wie dazu geschaffen schien, die Volksdeutschen einzuschmelzen (10) in die graue Uniformität einer euphemistisch als "Volksgemeinschaft" apostrophierten Masse, die - historischer Traditionen ledig - als brauchbares "Material" einzusetzen war für die Zwecke nationalsozialistischer Rasse- und Großraumpolitik.

Daher war eigentlich der Untergang der Gottscheer als Volksgruppe bereits besiegelt, bevor über sie die Katastrophe des Jahres 1945 hereinbrach, die auch sie aus ihrer "neuen Heimat" vertrieb. Vielleicht hatte die Umsiedlung der Jahre 1941/42 jedoch bewirkt, daß die Chance des Überlebens in der "neuen Heimat" angesichts der außerordentlich blutigen Partisanenkämpfe im alten Gottscheer Land größer gewesen war; ebenso verhielt es sich mit der Flucht nach Österreich, die den meisten - oft nach vielen Leidensstationen - doch noch glückte.

Die Umsiedlung der Gottscheer Deutschen, Hans Hermann Frensing, 1970

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Anmerkungen :

1  
Einleitung zu "Der Menscheneinsatz" von SS-Obersturmbannführer Dr. FÄHNDRICH, Leiter der Hauptabteilung I in der zentralen RKFDV-Dienststelle Berlin; BA R 49/3000.

2
 Schreiben des SS-Standartenführers Dr. ERHARD KRÖGER, Posen, den 21. 2. 1941 an SS-Obersturmbannführer Dr. FÄHNDRICH; BA R 49/Bd. 1/967.

3
 ebda.

4
 ebda.

5
 Schreiben Dr. FÄHNDRICHS vom l. 3. 1941 an SS-Standartenführer Dr. ERHARD KRÖGER; BA R 49/Bd. 1/967.

6
 HANS v. RIMSCHA, Zur Gleichschaltung der deutschen Volksgruppen durch das Dritte Reich; HZ 182, 1956, S. 29.

7
 H. OTTERSTÄDT a.a.O. S. 43.

8
 Vermerk, der Leiter der Kulturkommission beim Deutschen Umsiedlungsbevollmächtigten für die Provinz Laibach, vom 22. 6. 1942, Betr.: Zustände im Ranner Ansiedlungsgebiet; im Besitz d. Verf.

9
 vgl. dazu: EUGEN LEMBERG, Zur Geschichte der deutsdien Volksgruppen in Ost-Mittel-europa, in: Zeitschrift f. Ostforschung, l. Jg. 1952, Bd. l, S. 339 f.

10
 vgl. dazu: JOACHIM LEUSCHNER, Volk und Raum - Zum Stil der nationalsozialistischen Außenpolitik, Göttingen 1958, S. 72 ff. Und: Protokoll der Rede HIMMLERS über "Siedlungs-fragen" am 22. 10. 1940 vor der Landesgruppe der NSDAP in Madrid, Vertraulich, Abschrift; BA R 49/20: "Es wird keine ausländische Heimat mehr geben, denn Heimat kann immer nur das ewige Großdeutschland sein .. ."


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